Siena – Kunst, Kultur, Leben
Man muss es lieben, durch mittelalterliche Städte zu streifen, ausgetretene Steintreppen zu besteigen, sich vor der flirrenden Hitze in die Kühle Jahrhunderte alter Häuserschluchten zu fliehen – aber wer das liebt, der fühlt sich in Siena zuhause. Siena ist ein alter Stadtstaat, ein durchaus einflussreicher Ort in der Toskana, der sich, obwohl er vergleichsweise klein ist, lange gegenüber dem nahegelegenen Florenz behaupten konnte.
Heute gilt das erst recht. Siena liegt in einer der schönsten Gegenden der Toskana, auf Hügeln, die auf dem ersten Blick sanft wirken, dann aber doch erstaunlich hoch und steil sind. Siena ist eine richtige Universitätsstadt, ein beachtlicher Teil der Bürger sind Studenten, die an der Hochschule aus dem 13. Jahrhundert eingeschrieben sind. Zusätzlich haben sich in dem gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtkern viele Künstler angesiedelt, die einen Besuch dieser Stadt ungemein aufwerten.
Siena ist einfach perfekt. Es gibt hier einen der besten Weine überhaupt, das Essen kann kaum leckerer sein und trotz der vielen jungen Menschen in dieser Stadt werden uralte Bräuche mit einer großen Gewissenhaftigkeit gepflegt. Im Zentrum Sienas ist der Campo, ein muschelförmiger Platz, der an einer uralten Handelswegskreuzung liegt, über den ursprünglich Wasser in einer großen unterirdischen Zisterne gesammelt wurde und der bis heute Schauplatz eines einzigartigen Festes ist.
Il Palio ist ein Pferderennen, das zweimal im Sommer zu bedeutungsvollen katholischen Feiertagen stattfindet und bei dem die 16 Stadtteile Sienas in einem relativ komplizierten Modus gegeneinander antreten. Es werden nur 10 Teilnehmer zugelassen, was bedeutet, das 7 aussetzen müssen, die dann aber die Garantie haben, beim nächsten Mal teilzunehmen. Über die restlichen Teilnehmer entscheidet das Los. Die tilnehmenden Pferde werden nach einigen Vorinspektionen und Vorrennen und Vorauswahlen bei einem medialen Großereignis ebenfalls einem Stadtteil zugelost, das sich dann nur noch einen auswärtigen Jockey mieten muss.
Das Rennen selbst findet auf dem bestreuten Pflaster des Campo statt. Es würde keinen tierschutzrechtlichen Untersuchungen standhalten und ist allein durch seine große Tradition legitimiert. Vorher gibt es Umzüge, der Campo selbst ist zum Rennen derart gefüllt und farbenprächtig geschmückt, dass nicht einmal eine zusätzliche Handtasche Platz hätte, die Veranstaltung wird natürlich live in alle Straßen der Stadt übertragen und die Atmosphäre ist an einem solchen Tag unvergleichlich. James Bond war schon beim Palio, Adriano Celentano als Der Brummbär – das ist wirklich nichts im Vergleich zur persönlichen Anwesenheit.
Gerade, wenn das Rennen vorbei ist, wird es schön. In den Stadtvierteln sind die Festtafeln direkt auf den Straßen gedeckt, die Straßen sind in den bunten Farben des Viertels geschmückt und wecken in den Besuchern die Sehnsucht, irgendwie wirklicher Teil des Spektakels sein zu dürfen. Die siegreichen Reiter sind Helden, werden auf Schultern getragen, wobei eigentlich das Pferd das Rennen gewinnt. Das Pferd und die Farben seines Stadtteils müssen zuerst die Ziellinie überqueren, ob dann noch der Reiter auf dem ungesattelten Tier sitzt, ist irrelevant.
Siena hat noch viel mehr zu bieten, den Dom beispielsweise und ein unvergleichliches Zeugnis des Größenwahns. Siena hat einen mächtigen, sehr schönen Dom mit Zebrastreifen, die Cattedrale di Santa Maria Assunta. Diese Kathedrale war im 13. Jahrhundert größtenteils fertig und in Siena entschloss man sich, eine, wenn nicht sogar die größte Kirche der Christenheit zu bauen. Man fühlte sich stark und einflussreich genug, ein solches Statussymbol umzusetzen – und vor allen Dingen den Florentinern zu zeigen, wer in der Toskana das Sagen hat.
Diese Kirche, der Duomo Nuovo, war unglaublich dimensioniert und da man zunächst eifrig mit dem Bau anfing, dann aber die Finanzen doch nicht reichten und schließlich Mitte des 14. Jahrhunderts auch noch die Pest wütete, gab man den Plan auf. In Siena stehen einige beeindruckende Mauerreste der Bauruine, an denen man ein Gefühl dafür bekommen kann, was für ein aberwitziges Unterfangen hier nicht durchgeführt wurde.
Ein Besuch in Siena ist wichtiger als beispielsweise ein Aufenthalt in Pisa. Hier spürt der Besucher, dass er eben nur das ist, ein Besucher, und nicht die Hauptsache, in der Umgebung von Siena gibt es tolle Höfe, Hotels, Pensionen, Weingüter, auf denen man ein gutes Essen und vielleicht einen Brunello di Montalcino kosten kann. Das ist eine Möglichkeit, Italien kennenzulernen – und sicher nicht die verkehrte.